Der Tango als Tanz und Musikrichtung entstand Ende des 19. Jahrhunderts in den beiden Zentren Montevideo und Buenos Aires. Damals strömten Hunderttausende Einwanderer, vor allem aus Südeuropa per Schiff in die Hafenstädte an der Mündung des Rio de la Plata. Leider sollte sich deren Erwartungen auf Wohnraum, Lohn und Brot nur schwer erfüllen lassen. Und so herrschte in diesen Schmelztiegel der Nationen bald Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not bei immer knapper werdendem Wohnraum. Sprachprobleme, Entwurzelung, Melancholie, Heimweh, Einsamkeit, Hoffnungslosigkeit, Perspektivlosigkeit, soziale Chancenlosigkeit, Kriminalität und Ungerechtigkeit prägten das Klima. Zudem herrschte extremer Frauenmangel, was Prostitution und Frauenhandel zur Folge hatte. Es entstanden Orte der Vermischung und der Verbindung: die Straßen, die Mietskasernen und Vergnügungsetablissements.
Diesem gesellschaftlichen Klima entstammen die Wurzeln des Tangos, als Lied, als Tanz und als Lebensgefühl. Es spiegelt sich in den Inhalten und Texten der späteren Lieder (ab 1917) wider. Musiker und Komponisten verschiedener Stilrichtungen fanden zusammen und schufen Kompositionen, um Ihren verletzten Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Das wichtigste Instrument des Tangos wurde das, von dem deutschen Auswanderer Heinrich Band entwickelte, Bandoneon. Sein unverwechselbarer Klang prägt diese Musik. Einer der Wichtigsten Komponisten des Tangos, Enrique Santos Discepolo, prägte den viel zitierten Satz: „El tango argentino es un pensamiento triste que se puede bailar“. “Der Tango Argentino ist ein trauriger Gedanke, den man tanzen kann”. Das ist es, was den Tango ausmacht: die Sehnsucht nach Nähe, nach einer unerfüllbaren Geborgenheit.
Die etablierte Mittel- und Oberschicht lehnte den Tango anfänglich als zu obszön und vulgär ab. Erst als der Tango in eleganten Salons in Europa durch reisende Sänger, Musiker und Tänzer sowie durch neue Medien wie Schallplatte, Film und Radio in den sogenannten goldenen Zwanziger Jahren zum grandiosen Erfolg wurde, fand er auf diesem Umweg Eingang in alle Schichten in seiner Heimat.
Um den „anzüglichen“ Tanz aus den südamerikanischen Vororten an die Bewegungskonzepte des europäischen Tanzsaals anzupassen, entwickelten englische Tanzlehrer und Choreographen den europäischen Standardtanz Tango. Sein „Goldenes Zeitalter“ erlebte er zwischen 1935 und 1955. Die Menschen besaßen genügend Geld, um sich am Wochenende zu vergnügen, und in jedem Viertel entstanden neue Tangoorchester. Die Tänzer entwickelten jetzt Figuren und Drehungen, wie sie bis heute getanzt werden: Voleos, Ganchos, Ochos, Quebradas und viele mehr.
Anfang der 1950er Jahre begann der Niedergang des Tangos in Argentinien. Die Jugend interessierte sich mehr für populärere Musik, nach dem Regierungswechsel 1955 wurden die staatlichen Förderungen zurückgefahren und ein allgemeines Desinteresse machte sich bemerkbar. 1960 war der Tango so gut wie ausgestorben. Erneuerer wie Astor Piazolla hatten den Tango jedoch nie aufgegeben und experimentierten mit dem „Tango Nuevo“. Unter dem Einfluss von Jazz und Klassik entstanden Neuinterpretationen und Weiterentwicklungen, die jedoch als „nicht tanzbar“ galten.
In den 1970er Jahren wurde Südamerika von einer Reihe brutaler Militärputsche heimgesucht. Viele Menschen flohen vor Gefängnis, Folter und Tod nach Europa ins Exil. Astor Piazollas neuer konzertanter Tango als Fortsetzung der argentinischen Wurzeln weckte jedoch auch wieder das Interesse für die ursprüngliche Musik. Bühnenshows wie „Tango Argentino“ in Paris (1983) oder das Nachfolgeprojekt „Tango Pasion“ machten den Tango wieder populärer und es entstanden parallel in Berlin und Amsterdam wieder die ersten Tangoschulen, die eine neue europäische Tanzbegeisterung für den originalen Tango auslösten und seine Rückkehr an den Río de la Plata unterstützten. Ab 1984 begann der Tango auch in Buenos Aires damit, sein Schattendasein zu verlassen. Man erinnerte sich seiner traditionellen Wurzeln und feierte ihn als Neuentdeckung. Inzwischen gibt es am Rio de la Plata wieder ein großes Angebot an Milongas und Tanzshows.